Traumatologische und systemische Sichtweisen passen nicht nur zusammen, sondern sind notwendige Ergänzungen.
Trauma & System
Was den Einzelnen durch ein traumatologisches Schockerlebnis mit entsprechenden Veränderungen in der Informationsverarbeitung im Gehirn „aus der Bahn wirft“ und zu Symptomen bzw. symptomatischem Verhalten führt, verändert auch das System, in dem er lebt. Wenn wir davon ausgehen, dass traumatische Erfahrungen, Erlebnisse, die mit einer Überflutung von Stressreizen einhergehen und ein Mensch in dieser Situation nicht fliehen oder kämpfen kann, dann sind diese Ereignisse durch das Gehirn nicht als Lernerfahrung zu bewerten. Sie führen vielmehr ein fragmentiertes Dasein im Gehirn des Betroffenen. Diese fragmentarisch abgespeicherten Ereignisse führen häufig auf allen Sinneskanälen – Bilder, Gefühle, Gedanken, Körperreaktionen – ein jederzeit durch Schlüsselreize erneut reaktivierbares Dasein. Es wird nachträglich nicht durch Selbstheilungskräfte zu einer abgeschlossenen Geschichte mit Vergangenheitscharakter integriert, sondern führt praktisch im eingefrorenen Zustand ein weiteres Dasein. Dies ist eine normale Reaktion auf ein unnormales Erlebnis.
Diese Reaktionen von traumatisierten Menschen verändern oder beeinflussen das System, in dem sie leben, meist stark. Wenn an dieser Stelle eine Erklärung für das als eigenartig und unpassend erlebte Symptomverhalten ausbleibt, erklärt sich das Symptomverhalten aus der Interaktion heraus und man wird geneigt sein, die Interaktion zu verändern.
Konkret bedeutet dies, dass in einer von außen durch ein Trauma – ein Unfall, ein plötzlicher Todesfall, eine Trennung, eine Naturkatastrophe, eine Gewalterfahrung –betroffenen Familie die Arbeit auf der einen Seite mit der Familie erfolgen muss, auf der anderen Seite aber auch mit der direkt betroffenen Person. Die Familie benötigt Unterstützung dahingehend, mit den Symptomen so umzugehen, dass es nicht zu einer Ausgrenzung des Trauma-Opfers kommt, welches als Indexpatient wie geschaffen scheint.
Die traumatisierte Person zeigt in sämtlichen Kommunikations- und Interaktionsprozessen traumabedingt veränderte Verhaltensweisen, was wiederum die Sichtweise aufeinander, Stresslevel, Harmonie – kurz sämtliche die interaktiven Gruppenprozesse betreffenden Umgangsweisen beeinflusst und verändert. Die Störung erfolgt in das bestehende System hinein und muss systemisch verstanden werden. Die Familie (als Stellvertreter für genannte Systeme) braucht Beratung, das traumatisierte Familienmitglied muss dezentralisiert werden; es braucht Verständnis für seine eigenen besonderen Reaktionen und die Familie benötigt begleitende Unterstützung im Umgang damit.
Erfolgt die Traumatisierung im System selbst durch z.B. emotionale, psychische oder sexuelle Misshandlungen, muss in jedem Fall eine klärende Überprüfung hinsichtlich kinderschutzrechtlicher sowie gerichtlicher Sichtweisen erfolgen. Darüber hinaus gilt es hier, den weiteren Ansatz systemisch zu sehen, nämlich die Angehörigen des Systems für den beraterischen und traumatherapeutisch-beratenden Kontext zu gewinnen.